Der Kampf um das alte Eigentum

Dem langjährigen CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden und Unterhändler bei der Deutschen Einheit, Wolfgang Schäuble, treibt es den Zorn in die Stimme: "Dieses Thema ist giftig!" Es ist vor allem hoch explosiv, denn es geht um sehr viel: Es geht um Grundstücke, Häuser, Fabriken, Wälder und Schlösser, es geht um das alte Eigentum von Aristokraten und der bürgerlichen Mittel- und Oberschicht, die zwischen 1945 und 1949 in der sowjetischen Besatzungszone von den Siegern enteignet, interniert und vertrieben wurden. Mit der Einheit hofften die Betroffenen ganz selbstverständlich auf die Rückgabe ihrer Güter.

Wolfgang Schäuble (li.) und DDR-Staatssekretär Günther Krause unterzeichnen den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober 1990  © dpa

Umso größer war der Schock, als ausdrücklich dieses Eigentum 1990 bei den Verhandlungen um die Deutsche Einheit von einer möglichen Rückgabe ausgeschlossen wurde. Gegen diesen so genannten "Restitutionsausschluss" kämpft eine kleine, aber machtvolle Gruppe mit allen Mitteln an. Seit Jahren bezichtigen sie Wolfgang Schäuble des Betrugs und der Lüge. Er und Helmut Kohl, der Kanzler der Einheit, hätten eine sowjetische Bedingung "erfunden", nach der eine Rückgabe des alten Eigentums die Einheit verhindert hätte. Gegen diese vermeintliche Lüge wird seit 14 Jahren juristisch, publizistisch und politisch gekämpft. In einer millionenteuren Anzeigenkampagne sind 1998 ehemalige Mitglieder der Regierung Kohl als Lügner und Betrüger bezeichnet worden. In zahllosen Prozessen wird auf Rückgabe geklagt.

Nach zwei abschlägigen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) scheiterte im Dezember 2004 auch eine Klage von Prinz Ernst-August von Hannover, dem Ehemann der Prinzessin Caroline von Monaco. Auch Alteigentümer müssen die Kriegsfolgen mittragen, urteilten die Verfassungsrichter. Prinz Ernst Augusts Familie hatte bei den sowjetischen Enteignungen in den Jahren 1945 bis 1949 Ländereien und Schlösser im heutigen Wert von mehr als 100 Millionen Euro verloren. Unter der Devise "Junkerland in Bauernhand" haben die Sowjets in ihrer Besatzungszone alle Immobilien von mehr als 100 Hektar Größe enteignet. Seit September 2003 ist eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte anhängig. Die Kläger berufen sich auf das Protokoll 1 zur Europäischen Menschenrechtskonvention, das den Schutz des Eigentums garantiert. Sie sehen in dem Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz von 1994 einen Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot, weil ihnen als Privatpersonen im Gegensatz zu öffentlichen Körperschaften wie Kommunen und Ländern kein Recht auf Rückerstattung der unrechtmäßig enteigneten Güter zuerkannt worden sei. Sollte das Gericht den Klägern folgen hätte das gravierende Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte, vor allem im Osten Deutschlands. Eine Entscheidung wird Mitte Februar erwartet. Für die Kontrahenten ist die Beschäftigung mit dem Thema ein emotionales Drama das die Betroffenen, Politiker wie Alteigentümer, bis heute aneinander kettet. "Enteignet für die Einheit?" stößt mittenrein in eine geschichtspolitische Auseinandersetzung um Schuld und Verstrickung in die Verbrechen des Dritten Reichs, in die sentimentale Beschwörung der alten, verlorenen Heimat.

Die Autoren Merz und Michel machten sich auf Spuren- und Motivsuche und gerieten in einen Politkrimi, bei dem sich die Beteiligten nicht schonen. Gab es die "sowjetische Bedingung" für die deutsche Einheit? Warum hat Gorbatschow diese bestritten? Wollten Kohl und Schäuble mit dem alten Eigentum die Staatskasse füllen? Hat Bundeskanzler Kohl vor dem Deutschen Bundestag gelogen? Wer, wenn nicht die alten "Junker", sind die Strippenzieher der ehrrührigen Anzeigenkampagnen? Die SWR-Autoren konnten viele Zeitzeugen und Beteiligte interviewen, etwa Lothar de Maizière und Wolfgang Schäuble. Sie sprachen mit den Nachkommen der enteigneten Alteigentümer, die das Erbe ihrer Väter nicht antreten konnten. Und sie lernten eine junge Politikwissenschaftlerin kennen, Constanze Paffrath, deren Buch seit Monaten für Furore sorgt. Obwohl selbst CDU-Mitglied, behauptet sie, die Regierung Kohl habe 1990 den kommunistischen Raub des alten Eigentums legalisiert.

Quelle: 3sat online