Geschichte des Orts Angern
Angern und Wenddorf, zwei im Kreis
Wolmirstedt (heute Bördekreis)
gehörige Dörfer, liegen unweit des Südrandes der Altmark. Die Dorfstätten
erheben sich etwa 120 m über dem Meeresspiegel. Die Feldmarken sind von
vielen Gräben durchzogen; Acker, Wiese, Wald wechseln in wohltuender Weise
miteinander ab.
Von der ältesten Zeit bis zur Reformation
Das Dorf Angern hat seinen Namen von Anger, welches Wiese, Weide bedeutet. Der
Tanger, welcher bei der Stadt Tangermünde in die Elbe mündet und von der
Angernschen Feldmark kommt (Mahlwinkler Tanger), wurde in alten Zeiten auch
Angergraben genannt.
Oder sollte der Name des Flusses und des Ortes von den Angeln, die in alter
Zeit unter oder neben den Langobarden wohnten, herzuleiten sein? Wenddorf ist
wahrscheinlich nach den Wenden genannt, die sich dort einst ansiedelten. Ein
Bach an der Grenze der Feldmark heißt noch jetzt der "wendische
Bach".
Zur Zeit Christi Geburt war das deutsche Land, besonders unsere norddeutsche
Ebene, voll Waldung und Sümpfe. Und so groß waren die Waldungen, das das
Eichhörnchen sieben Meilen weit von Baum zu Baum laufen konnte, ohne den Boden
zu berühren. Weithin durch die Einsamkeit drang das Brüllen des Auerochsen, das
Brummen des Bären, das Röhren der Hirsche und anderer wilden Tiere. Breiter und
reißender als heute ergossen sich die Flüsse. Das Klima war rau und kalt.
Damals wohnten in unserer Gegend die Langobarden. Nicht beieinander in
Dörfern, sondern zerstreut schlugen sie hier und da ihre Hütten auf. Es waren
große, kräftige Gestalten mit rötlich-blondem Haar und blauen Augen: Die Männer
beschäftigten sich vornehmlich mit Jagd und Krieg. Wenn sie daheim waren,
erzählten sie, auf der Bärenhaut liegend, gerne von ihren Jagderlebnissen und
Kriegstaten. Die Frauen besorgten die Hauswirtschaft und Viehzucht. Ackerbau
wurde nur selten betrieben. Gute Sitten galten bei der alten heidnischen
Deutscher mehr als anderswo gute Gesetze. Sie hassten die Unzucht und jede
Liederlichkeit und hielten auf Treue und Wahrhaftigkeit.
Als Kaiser Augustus im römischen Reich regierte, jener Kaiser, von dem das Gebot ausging, dass alle Welt geschätzt würde, hatten die Römer das Land bis zur Donau und bis zum Rhein bereits erobert. Immer weiter suchten sie ihre Adler in das deutsche Land hineinzutragen so mussten sie bald mit den Germanen zusammengeraten.
Im Jahre 9 nach Christi Geburt war es, da eilten Boten durch das
deutsche Volk, welches zwischen der Weser und Elbe wohnte. Von Busch zu Busch,
von Hütte zu Hütte gingen sie, sie erzählten, wie die stolzen Römer den freien
Germanen Hab und Gut, das alte deutsche Recht und die deutsche Sprache nehmen
wollten, und riefen zum Kampf gegen die fremden Eindringlinge auf. Auch in
unsere Gegend werden die Boten gekommen sein. Auf Wegen und Stegen zogen
bewaffnete Scharen nach Westen. Im Teutoburger Wald drangen die Germanen von
allen Seiten auf die römischen Legionen ein und schlugen ihnen schwere Beulen
und klaffende Wunden. Viele Römer lagen erschlagen am Boden, die Lebenden
welche sich nicht durch die Flucht retteten, gerieten in Gefangenschaft. Als
Sieger kehrten die Langobarden in ihre Wohnsitze zurück und blieben in
denselben bis zur Völkerwanderung.
Um das Jahr 375 drangen die Hunnen in Europa ein und gaben den Anlass
zu großen Völkerwanderungen. Alte Volksstämme verschwinden, neue traten auf den
Schauplatz der Geschichte. Die Langobarden gehörten in dieser Zeit dem Reich
und Volk der Thüringer an. Als aber der Thüringer König Hermanfried im Jahre
531 in der Schlacht an der Unstrut von dem König der Franken besiegt wurde,
setzten sich diese in dem eroberten Lande fest. Der nördliche Teil des
Thüringer Landes fiel den Sachsen zu, welche in dem Kriege auf Seiten der
Franken gestanden hatten. So drangen also vom Niederrhein und von der unteren
Elbe die Sachsen in unsere Gegend vor. Die Mehrzahl der Langobarden, von der
Wanderlust ergriffen, zog nach Böhmen und von dort weiter nach Süden, nach
Norditalien, wo sie in der Ebene des Po ein neues Reich gründeten. Da die
Sachsen nicht so viele waren, dass sie den Acker bebauen mochten, so ließen sie
die unterworfenen "Buren ungeschlagen". Diese behielten ihre Äcker,
mussten aber den Sachsen Zins davon zahlen.
Als im 6. Jahrhundert die Wanderungen der Stämme aufhörten, und diese feste Wahnsitze einnahmen, ging man dazu über, den Acker zu bestellen. Einzelne Familien erhielten von den Häuptlingen Land zum Ackerbau, zur Viehweide und zur Wohnung angewiesen. Sie bauten sich nahe beieinander auf. Es entstanden Ansiedlungen, die Anfänge der Dörfer.
Im 8. Jahrhundert wurden die Franken mächtig, welche auf beiden
Seiten des Rheins ein großes Reich gegründet hatten. Sie waren die Nachbarn der
Sachsen. Raub und Plünderung, Mord und Brand geschah häufig in den
Grenzgebieten. Die Franken hatten bereits das Christentum angenommen. Die
Sachsen saßen noch in der Finsternis des Heidentums. Karl der Große (768 - 814)
beschloss, die Sachsen zu unterwerfen und zum Christentum zu bekehren. Mit
einem großen Heer rückte er nach Osten vor. Viele Jahre hindurch wurde zwischen
den Stämmen gekämpft. Die Sachsen, wiederholt geschlagen, erhoben sich immer
wieder zu neuen Aufständen. Endlich erlahmte ihre Kraft und ihr Mut. Sie
beugten den Nacken unter das Joch der Franken und nahmen das Christentum an.
Zwar gerieten sie nicht in persönliche Abhängigkeit von den Franken, aber sie
mussten sich den staatlichen und kirchlichen Ordnungen des Frankenreiches
fügen. Den Göttern durften fortan keine Opfer dargebracht werden, die Leichen
durften nicht verbrannt, sondern mussten beerdigt werden.
Von großer Bedeutung für das deutsche Volksleben im Mittelalter ist das Lehnswesen. Als die Franken unser Gebiet eingenommen hatten, gab der König Landesteile an seine Kriegsmannen, welche ihm dafür Kriegsdienste zu leisten hatten. Diese wiederum taten dasselbe, sie gaben Land an ihre Vasallen und verpflichteten sie zu Diensten. So wurden als Lehn hingegeben Äcker und Häuser, Mühlen und Brauereien und Fischereien. Aller Grund und Boden war zehntpflichtig.
Im 10. bis 13. Jahrhundert geschahen die großen Rodungen. Kolonisten
kamen aus anderer, Gegenden, machten das Land urbar und siedelten sich an. Vor
allem war es Markgraf Albrecht der Bär, welcher aus Holland und Flandern
Ansiedler herbeirief. Es entstanden neue Dörfer. Einige von den im frühen
Mittelalter gegründeten Dörfer existieren nicht mehr, sie sind wüst gefallen. -
So das Dorf Panitz. Ein Gehölz, wenige Kilometer von Angern nach Nordosten
gelegen, heißt Pallitzer oder Palnitzer Holz. Es hat seinen Namen von dem
Dorfe, welches dort einst stand. Das Dorf wird von Wenden angelegt worden sein,
denn diese siedelten gern auf leichten Böden, unweit von Flüssen und Gräben.
Um 1200 gehörte es mit 9 Hufen und der Kirche dem Kloster Ammensleben. Als der Erzbischof im Jahre 1341 in Angern ein Schloß baute, mochte er den Wunsch haben, das Patronat der Kirche in Palnitz und Eigentum in jenem Orte zu bekommen. Wann das Dorf eingegangen ist, lässt sich nicht nachweisen, jedenfalls noch vor der Einführung der Reformation. Auch hier wird eine wendische Ansiedlung gewesen sein Im Jahre 1562 war es jedoch wüst.
Ein Dorf Briest wird im Jahre 1448 als zum Schloss Angern gehörig genannt,
im Jahre 1477 aber als "Dorfstätte Briest" aufgeführt. Es muss also vor
1477 eingegangen sein. Vielleicht ist das kleine Dorf durch Feuer zerstört, und
die wenigen Bewohner haben sich darauf in Angern und Wenddorf aufgebaut, In
Angern gibt es heute noch den Familiennamen Briest. Die Vermutung liegt nahe,
daß die Familie aus dem besagten Dorf Briest stammt. Auch dieser Ort ist eine
wendische Ansiedlung gewesen. Den Namen aber hat es von den benachbarten
Deutschen erhalten.
Die meisten Wenden sind durch Albrecht dem Bären vertrieben und neue
Ansiedler vom Niederrhein und Holland hierher geholt worden. Es lässt sich
nicht bestimmen, wann das Dorf entstanden, noch viel weniger, wer seine ersten
Bewohner waren. Vielleicht reicht es mit seinen Anfängen bis in die ersten
Jahrhunderte nach Chr. zurück.
An der Chaussee nach Rogätz liegt ein Feld, die "alte Dorfstätte"
genannt. Ein Dorf hat einst dort gestanden, das deuten die Mauerreste an, auf
die man beim Pflügen gestoßen ist. Ob die Bewohner von hier einst ihren
Wohnsitz nach der jetzigen Dorfstelle verlegt haben, oder ob jenes Dorf das in
den Lehnbriefen erwähnte Lutkow gewesen ist, darüber lässt sich nicht einmal
eine Vermutung aufstellen.
Im Jahre 1160 wird ein Theoderich von Angern und 1217 ein Heinrich
von Angern genannt. Da es in jener Zeit üblich war, als Zunamen den Namen des
Wohnortes zu wählen, so werden diese Männer nach unserem Angern genannt sein
und in Angern einen Edelhof besessen haben. Sollte jener Theoderich nicht ein
Ritter aus dem Gefolge Albrecht des Bären oder ein Ansiedler aus dem Westen
gewesen sein können, dem, wie dem Luder von Wenddorf eine größere Fläche zur
Kultivierung übergeben wardt ?
Im 13. Jahrhundert war Angern ein Streitobjekt zwischen den Markgrafen und
den Erzbischöfen von Magdeburg. Nachdem im Jahre 1336 Angern als
Erzstift-Magdeburgische Besitzung ausdrücklich anerkannt war, suchte der
Erzbischof alsbald es zu sichern und zu befestigen. Es war im Jahre I341. Kalte
Herbstwinde haben das Laub der Bäume gefärbt und werfen es auf die Erde. Auf
der Weide gehen die Viehherden, von alten Leuten und jungen Burschen gehütet.
Klein und unscheinbar sind die Häuser in Angern. Sie haben keine Fenster,
sondern nur Luken, die geöffnet werden, um Licht und frische Luft
hereinzulassen. Auch der Schornstein fehlt; der Rauch zieht durch ein dazu
angebrachtes Loch ab. Die Tür ist zweiteilig (wie man sie auf den Holzstichen
von Ludwig Richter noch sieht). Tisch und Bänke an der Wand stehend und
Bettstellen, in denen dicke Federbetten über das Strohlager gebreitet sind,
bilden die hauptsächlichste Einrichtung. Das Dach besteht aus Stroh, Rohr oder
Heidekraut, welches mit Weidenruten befestigt ist. Mehr als das kleine Feuer
auf dem Herde, mit welchem man die Speisen bereitet, trägt das Vieh, welches
unter demselben Dache untergebracht ist, zur Erwärmung im Winter bei.
Ein rühriges Treiben herrschte an der Stätte, wo das jetzige Schloss steht.
Erzbischof Otto von Magdeburg läßt eine Burg bauen, und seine Dienstpflichtigen
aus Angern, Wenddorf, Mahlwinkel u. a. sind in voller Arbeit. Die Voigte,
welche die Arbeiten überwachten und leiteten, treiben zur Eile; der Erzbischof
hat sich zu einem Besuch angekündigt. Die Burg, später Schloss genannt, war
gebaut und hat Jahrhunderte hindurch bestanden.
Einige Jahre nach dem Bau der Burg kam von Süden die Pest auch ins deutsche Land.
Ob sie damals auch in Angern und Wenddorf geherrscht hat, darüber ist keine
Nachricht erhalten. Einige Jahrzehnte später. Auf der Burg in Angern haust
Gebhard von Alvensleben oder von Klötze, wie er auch genannt wird. Er ging auf
Raub aus; die in der Nähe Angern vorbeiführende Heerstraße von Magdeburg durch
die Altmark war oft Schauplatz von Ìberfällen auf die Magdeburger Handelsleute
durch von Alvensleben und seinen Knechten. Mehrere Raubüberfälle mit reicher
Beute auf Kaufleute wurden verübt. In Magdeburg spie man Gift und Galle; als
man von den Ìberfällen härte. Man beschloss, dem Ritter, der solches verübt, zu
Leibe zu gehen. Am Abend vor Himmelfahrt sah Gebhard von Alvensleben-Klütze
seine Burg von gewappneten Kriegsknechten umstellt. Am folgenden Tage war er
genötigt, die Burg für 400 Mark Silber den Bürgern von Magdeburg abzutreten.
Von diesen erhielt sie der Erzbischof als sein Lehngut gegen eine Zahlung von
900 Mark zurück.
Bald nach dieser Zeit besaß die Familie von Rengerslage Angern als Lehngut
oder Pfandgut. Später erhielt es Sander von Hemmersdorf, welcher dem Erzbischof
Kriegsdienste in der Mark geleistet hatte und in Gefangenschaft geraten war.
Nach diesem sind Dietrich von Zerbst und zwei Ritter von der Schulenburg
Pfandinhaber. Im Jahre 1448 werden die Gebrüder von der Schulenburg mit dein
Schloß Angern beliehen; seit dem ist Angern in den Händen der Familie von der
Schulenburg bis zum Jahre 1945.
Es bestand damals aus drei Gütern: Schloß Angern, Vergunst und der
"alte Hof". Vergunst, welches ebenfalls von einem Burggraben umgeben
war, lag früher außerhalb des Dorfes, später infolge der Ausdehnung des Dorfes
am Ende desselben, jetzt im Dorfe. Hier mögen einige Bemerkungen über das
Dorfleben am Ausgange des Mittelalters Platz finden: Ìber die Beschaffenheit
der Häuser ist schon einiges gesagt. Die Höfe mögen damals, weil Holz reichlich
vorhanden war, mit Planken- oder Reisigzäunen umgeben gewesen sein. Schon gab
es gegrabene Brunnen, und die großen Brunnenschwengel, die man hier und da noch
im 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts sah, hat man schon damals gekannt.
Außerhalb des Hofes (meist im Garten) stand der runde Backofen. Dem Acker wurde eine sorgfältige Bearbeitung zu Teil; Steine und wildes Gestrüpp wurden entfernt, und die Erdschollen mit dem hölzernen Schläger zerkleinert. Das Getreide wurde mit dem Dreschflegel ausgeschlagen. Auf der Feldmark waren Grenzsteine gesetzt und wurden sorgfältig beachtet. Es kam vor, daß beim Setzen der Grenzsteine den anwesenden Knaben eine Maulschelle erteilt wurde, damit sie sich die Lage der Steine genau merken. Schwere Strafe traf die, welche die Grenzsteine verrückten.
> Angern anno 1840 ...
Aus dem Heft zur Heimatkunde von 1905
aus: Tangerhütter Lokalanzeiger, März 2003