Barocke Gartenkunst als Ausdruck von Ordnung, Nutzen und Repräsentation: Das barocke Gartenwesen des 18. Jahrhunderts war mehr als nur ein Ausdruck von Naturbeherrschung und ästhetischer Gestaltung. Es war Spiegel eines hierarchischen Weltbildes, Symbol von Macht, Ort wirtschaftlicher Produktion und der Erziehung zur Ordnung. In seltenen Fällen liegen uns schriftliche Anweisungen zur praktischen Gestaltung solcher Gärten vor. Ein solches Beispiel stellt das sogenannte Mémoire von General Christoph Daniel von der Schulenburg dar, das 1745 für seinen Gutsgarten in Angern verfasst wurde. Es umfasst 29 nummerierte Punkte und formuliert detaillierte Vorschriften zur Gestaltung, Nutzung und Pflege eines barocken Gutsparks. Die vorliegende Darstellung stützt sich auf eine Transkription dieses Dokuments durch die Angerner Dorfchronistin Brigitte Kofahl, deren Arbeiten eine wichtige Grundlage für die Erschließung des Gutsarchivs bilden (Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 409, Bl. 19–22).
Katasterplan aus dem Jahr 1740 im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt
Zentrale Zielsetzung des Mémoire ist die Verbindung von Nutz- und Ziergarten unter dem Primat der Ordnung. Schulenburg teilt die Gartenflächen in funktionale Zonen: Fruchtquartiere, Laubengänge, eine Baumschule, ein Irrgarten sowie Beete für Gemüse, Blumen und Küchenkräuter. Jeder Bereich ist symmetrisch gegliedert und unterliegt strengen Pflegevorgaben. Pflanzen sollen, so heißt es wörtlich in Punkt 3:
„Alle Bäume müssen regulier stehen, der Frucht nach geordnet, und was alt und unnütz ist, abgeschafft werden.“
Besondere Bedeutung erhalten die Obstquartiere, die mit Kirschen, Birnen, Feigen, Pfirsichen und Walnüssen bepflanzt werden sollen. In den Punkten 15 bis 18 finden sich präzise Anweisungen zur Gestaltung:
„Die Bäume sind in Pyramiden zu ziehen, auch Hutbäume und Spaliere anzulegen […] so dass jeder Platz den höchsten Ertrag geben kann.“
Die Pflege erfolgt rational und kalendergebunden. Das regelmäßige Beschneiden, Ausschneiden und Umsetzen gehört zu den zentralen Aufgaben.
Neben der wirtschaftlichen Ausrichtung betont Schulenburg auch die repräsentative Funktion des Gartens. Der sogenannte Irrgarten sowie „grüne Cabinets“ oder Laubengänge dienen dem Lustwandeln. Auch hierfür gibt es klare ästhetische Vorgaben, wie Punkt 20 verdeutlicht:
„Was zur Lust gehört, muss sauber gehalten und täglich durchgesehen werden.“
Ein besonders innovatives Element ist die geplante Baumschule, die als eigener Gartenbereich vorgesehen ist. Ziel war es, die Abhängigkeit von teuren Pflanzeneinkäufen aus dem Ausland zu beenden. In Punkt 24 heißt es hierzu:
„Die Schule von Bäumen muss angelegt werden, damit nicht alles aus Belgien kommen muss.“
Das Mémoire ist somit ein seltenes Beispiel praktischer Gartenanweisung auf einem Gutsbesitz in der Altmark. Es vereint Elemente ästhetischer Gestaltung, landwirtschaftlicher Nützlichkeit und moralischer Ordnung. Besonders hervorzuheben ist die im Schlussteil zum Ausdruck kommende langfristige Perspektive:
„Solches ist auch künftighin den Gärtnern und Verwaltern zu übergeben, damit diese Verordnung nicht verloren gehe.“
Diese Rationalität steht in der Tradition barocker Gartenlehren wie Antoine-Joseph Dezallier d’Argenvilles La théorie et la pratique du jardinage (1709) oder Christian Cay Lorenz Hirschfelds Theorie der Gartenkunst (1779–1785). Doch Schulenburgs Schrift unterscheidet sich durch ihre Praxisnähe und lokale Einbettung: Sie ist kein abstraktes Lehrbuch, sondern ein ortsgebundenes Regelwerk mit exemplarischer Bedeutung für die Gutswirtschaft der Altmark. Die handschriftliche Überlieferung und der Bezug zu einem noch heute existierenden Park machen das Mémoire zu einem bedeutenden Zeugnis barocker Gartenkultur außerhalb fürstlicher Residenzen – ein Dokument, das zeigt, wie eng Gartenkunst mit sozialer Ordnung, Repräsentation, Wissensorganisation und landwirtschaftlicher Rationalität verbunden war.
Das Mémoire von Angern im Kontext barocker Praxis
Das Mémoire steht in der Tradition barocker Gartenanleitungen wie das Werk La théorie et la pratique du jardinage (1709) von Dezallier d'Argenville oder später Christian Cay Lorenz Hirschfelds Theorie der Gartenkunst (1779–1785), unterscheidet sich jedoch grundlegend in Form und Funktion: Während die genannten Werke theoretische Lehrbücher mit universellem Anspruch darstellen, handelt es sich beim Angerner Mémoire um ein spezifisches, auf die lokalen Bedingungen eines altmärkischen Ritterguts zugeschnittenes Regeldokument. Es verbindet die Prinzipien barocker Gestaltung mit konkreten landwirtschaftlichen Maßnahmen, die auf Selbstversorgung, Effizienz und Generationenverantwortung zielen. Die handschriftliche Überlieferung, die genaue Datierung und die Authentizität des Ortsbezugs machen es zu einem personalsignierten Zeugnis rationaler Gutsherrschaftspraxis.
Es ist kein Text höfischer Gartenkunst, sondern ein aufklärerisch geprägtes Steuerungsinstrument für die Organisation des ländlichen Raums. Durch seine unmittelbare Verbindung zu einem heute noch ablesbaren historischen Parkensemble gehört es zu den herausragenden Beispielen funktionaler Gartenarchitektur jenseits der großen Residenzen. Das Mémoire von Christoph Daniel von der Schulenburg belegt, wie stark gärtnerische Gestaltung im 18. Jahrhundert als Ausdruck sozialer Ordnung, repräsentativer Selbstinszenierung, systematischer Wissensorganisation und landwirtschaftlicher Rationalität begriffen wurde – gerade auch im Kontext des preußischen Adels.
Quelle
Die vorliegende Darstellung stützt sich auf eine Transkription durch die Angerner Dorfchronistin Brigitte Kofahl, deren Arbeiten eine wichtige Grundlage für die Erschließung des Gutsarchivs bilden.
- Gutsarchiv Angern, Rep H Nr. 409, Blatt 19-22 "Memoire, wie der Garten anzulegen und einzurichten"
- Dezallier d’Argenville, Antoine-Joseph. La théorie et la pratique du jardinage. Paris: Jean Mariette, 1709.
- Hirschfeld, Christian Cay Lorenz. Theorie der Gartenkunst. 5 Bände. Leipzig: Weidmanns Erben und Reich, 1779–1785.