Burg Angern
Die um 1341 gegründete Burg Angern bewahrt in seltener Geschlossenheit die originale Bau-, Erschließungs- und Verteidigungsstruktur einer hochmittelalterlichen Wasserburg und nimmt damit eine herausragende Stellung innerhalb der norddeutschen Burgenlandschaft ein.

Der im Erdgeschoss des Palas von Burg Angern erhaltene 180°-Verbindungsgang stellt ein selten überliefertes Beispiel durchdachter Kellerarchitektur des Hochmittelalters dar. Er verbindet zwei tonnengewölbte Räume auf gleichem Bodenniveau, ohne dass eine direkte Türverbindung zum Innenhof oder eine geradlinige Passage bestand. Die ungewöhnliche Führung des Gangs mit abrupter Richtungsänderung diente spezifischen funktionalen und bautechnischen Anforderungen und belegt eine gezielte Planung im Rahmen der ursprünglichen Baukonzeption. 

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Umkehrgang in das nördliche Tonnengewölbe

Befundbeschreibung

Der Verbindungsgang im westlichen Erdgeschoss des Palas ist als tonnengewölbter Gang mit halbkreisförmigem Querschnitt ausgeführt. Er verbindet zwei Gewölberäume auf gleichem Bodenniveau. Der Gangverlauf zeigt eine markante 180°-Wendung unmittelbar nach dem Zugang aus dem südlichen Raum. Die lichte Breite des Gangs beträgt etwa 1,50 Meter. Zur hofseitigen Außenfläche der westlichen Palasmauer verbleibt eine Restwandstärke von rund 70 bis 80 Zentimetern. Das Mauerwerk besteht aus unregelmäßig gesetztem Bruchstein im Wandbereich sowie aus kleinformatigen, vermutlich handgestrichenen Ziegeln im Gewölbebereich. Die Gewölbeschale ist gleichmäßig geführt, der Putzbestand im Inneren weitgehend homogen. Hinweise auf nachträgliche Durchbrüche, sekundäre Bauteile oder spätere Überformungen fehlen vollständig. Die dokumentierte Gangbiegung ist vollständig mitgewölbt und sauber ausgeführt, was auf eine bauzeitliche Gesamtplanung schließen lässt.

Der Verbindungsgang im westlichen Erdgeschoss des Palas wurde in einem tonnengewölbten Bau ausgeführt. Er verbindet zwei Gewölberäume auf gleichem Bodenniveau. Die lichte Breite des Gangs beträgt etwa 1,50 Meter. Zur hofseitigen Außenfläche der westlichen Palasmauer verbleibt eine Restwandstärke von rund 70 bis 80 Zentimetern. Das Mauerwerk ist als unregelmäßig gesetztes Bruchsteinmauerwerk ausgeführt und weist keine Spuren späterer Überformung auf. Die westliche Palaswand und der Gang haben sich in substantiell originalem Zustand erhalten.

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Massive westliche Außenwand mit Umkehrgang in das nördliche Tonnengewölbe

Bauhistorische Einordnung

Die Anlage des 180°-Gangs war offenbar von Beginn an Teil der Erschließungskonzeption des Palas. Hinweise auf eine nachträgliche Einfügung fehlen. Die Konstruktion wurde vermutlich nicht vollständig in den Mauerkern integriert, sondern als halb eingebundene, entlang der westlichen Mauerflucht verlaufende Einheit geplant. Für eine vollständige Integration – wie bei Wehrgängen über 1,5 m Mauerstärke – fehlen gesicherte Hinweise. Die asymmetrische Lage des Gangs im Grundriss lässt sich durch funktionale und statische Erfordernisse erklären.

Funktionale Deutung

Die gewinkelte Anlage des Gangs erfüllte mehrere Zwecke:

  • Zugangskontrolle: Der Richtungswechsel verhinderte eine direkte Sichtachse und erschwerte gewaltsames Eindringen.
  • Statik: Die Konstruktion ermöglichte eine innere Erschließung bei gleichzeitiger Erhaltung der Tragfähigkeit der Mauer.
  • Klimaschutz: Die geknickte Führung minimierte den Eintrag von Kälte und Feuchte in die Vorratsräume.

Die Gewölberäume im Erdgeschoss dienten mit hoher Wahrscheinlichkeit der Lagerung empfindlicher Vorräte (z. B. Getreide, Salz, Bier). Die Breite des Gangs erlaubt den Transport von Lasten auf Schlitten oder Karren. Eine Trennung durch Türen wurde vermieden, um die klimatische Einheit zu wahren.

Die seitlich versetzte Lage der Fenster in den angrenzenden Gewölberäumen – jeweils in Flucht mit Ein- und Ausgang des Umkehrgangs – ermöglichte zudem eine indirekte Belichtung des Verbindungsgangs. Obwohl der Gang selbst fensterlos ist, fällt durch diese Anordnung Tageslicht in die Eingangsbereiche, was eine minimale Orientierung bei Lagerarbeiten oder Durchgängen begünstigte. Die gezielte Positionierung der Fensterachsen spricht für eine bewusste bauzeitliche Planung auch im Hinblick auf Lichtführung, ohne die klimatischen Bedingungen der Kellerzonen zu beeinträchtigen.

Auffällig ist in diesem Zusammenhang auch das gemauerte Podest an der Südwand des nördlichen Gewölberaums. Seine erhöhte Lage sowie die Ausrichtung zwischen Gangöffnung und Fenster lassen vermuten, dass hier eine zentrale Lager- oder Stellfläche vorgesehen war, möglicherweise für besonders empfindliche oder wertvolle Güter, wie z.B Talg- oder Ölgefäße, die nicht dem allgemeinen Lagerbestand zugeordnet, sondern separat verwahrt wurden, Salzlauge- oder Essigbehälter, die kühl und erschütterungsfrei gelagert werden mussten, Gärgut (z. B. in keramischen Halbtonnen), Reinigungs- oder Konservierungsmittel tierischer oder mineralischer Herkunft. Die Kombination aus Lichteinfall, geschützter Lage und erhöhter Plattform könnte funktional auf eine gezielte klimatische Abschirmung und Sichtbarkeit bestimmter Lagerbereiche hindeuten.

Raumklima in den Gewölben

Die axiale Ausrichtung der Fensteröffnungen zu den Gangenden könnte eine gezielte klimatische Pufferung unterstützt haben. In hochmittelalterlichen Kellerbauten war die Kontrolle von Temperatur- und Feuchteschwankungen essentiell für die Lagerfähigkeit empfindlicher Vorräte. Der Umkehrgang wirkt in dieser Anlage wie ein „Klimaschleuse“ – abgeschirmt durch gekrümmten Verlauf und zugleich sanft belichtet, aber nicht durchlüftet. Eine bauphysikalische Untersuchung der Luftströmungen und Feuchteverläufe im Bereich der Fensterachsen könnte weitere Aufschlüsse über diese mögliche Funktion liefern.

Die klimatischen Bedingungen in den Erdgeschossgewölben des Palas der Burg Angern lassen sich aufgrund ihrer baulichen Struktur, Lage und Orientierung differenziert beschreiben. Es handelt sich um ebenerdige, tonnengewölbte Lagerräume mit massivem Bruchsteinmauerwerk in den Wänden und tonnenförmigen Gewölben aus kleinformatigen Ziegeln. Die natürliche Belichtung erfolgt lediglich punktuell über kleine, tief sitzende Fenster mit Öffnung zum bestehenden Wassergraben der Burg.

Temperatur: Aufgrund der starken Wandmächtigkeit und der vollständig überdeckten Bauweise ist von einem konstant kühlen Innenklima auszugehen. Trotz fehlender Erdüberdeckung wirken die massiven Bruchsteinmauern als thermische Speicher, die äußere Temperaturschwankungen deutlich abpuffern. Die erwartbaren Durchschnittstemperaturen im Innenraum lagen ganzjährig zwischen 10 und 13 °C, mit geringeren Schwankungen im Vergleich zu nicht überdeckten Wirtschaftszonen der Burg.

Luftfeuchtigkeit: Die unmittelbare Nähe zum Wassergraben sowie die geringe Luftzirkulation infolge der fensterlosen Gangführung und der Fensterlösung auf der Ostseite begünstigen eine dauerhaft hohe relative Luftfeuchtigkeit von vermutlich über 85 %. Das Kleinklima war entsprechend kühl-feucht und stabil. Ein wirksamer Luftaustausch war durch die einseitige Fensteröffnung nicht gegeben. Vielmehr wirkte der gekrümmte Umkehrgang zusätzlich als klimatische Barrierezone, durch die keine direkte Außenluft in die Lagerbereiche gelangen konnte.

Lichtführung: Die Fensterachsen sind auffällig auf die Gangenden ausgerichtet, sodass zumindest eine indirekte natürliche Belichtung der Zugangszonen gewährleistet war. Dies ermöglichte eine minimale Sichtorientierung bei Lagerarbeiten, ohne jedoch die klimatischen Eigenschaften des Lagerraums durch starke Erwärmung oder Belüftung zu beeinflussen.

Funktionales Raumklima: Die beschriebenen Parameter – kühle, dunkle, feuchtebeständige Bedingungen bei geringer Luftbewegung – schaffen ideale Voraussetzungen für die Lagerung von Flüssigkeiten, salzhaltigen Substanzen, Gärgut oder lichtempfindlichen Vorräten wie Talg oder Öl. Der Wandbereich mit gemauertem Podest in der südlichen Ecke des nördlichen Gewölbes liegt geschützt, erhöht und im Lichtkorridor des Fensters – eine bevorzugte Lagerposition für empfindliche Behältnisse.

Zeitgeschichtlicher Befund: In der DDR-Zeit wurde das südliche Gewölbe zur Lagerung von Einmachgläsern genutzt, die bis heute erhalten sind. Auch wenn diese Nutzung deutlich jünger ist als die ursprüngliche Bauphase, spricht sie für die bis in die Gegenwart anhaltende Eignung des Raumes zur kühlen und temperaturstabilen Vorratshaltung. 

Insgesamt spricht die bauklimatische Analyse für eine gezielt auf konservierende Eigenschaften hin optimierte Nutzungskonzeption. Die Gewölbe des Palas waren keine reinen Transport- oder Abstellräume, sondern erfüllten eine qualifizierte Funktion innerhalb der wirtschaftlichen Infrastruktur der hochmittelalterlichen Burg.

Fazit

Der Umkehrgang in Burg Angern steht exemplarisch für die Verbindung statischer Effizienz, sicherheitstechnischer Überlegung und funktionaler Vorratslogistik. Seine Anlage belegt ein hohes Maß an planerischer Voraussicht und stellt innerhalb der bislang dokumentierten hochmittelalterlichen Burgarchitektur in Nordostdeutschland ein bemerkenswertes Einzelfragment original erhaltener Erschließungstechnik dar.

Im 14. Jahrhundert war die Altmark Schauplatz konkurrierender Herrschaftsansprüche. Die Markgrafen von Brandenburg, das Erzbistum Magdeburg sowie einflussreiche Adelsfamilien wie die von Alvensleben und von Grieben rangen um Besitzrechte, Lehnsbindungen und lokale Machtstellungen. In diesem territorial instabilen Raum stellte die Gründung der Burg Angern eine gezielte Maßnahme der Erzdiözese Magdeburg dar, um ihren Einfluss militärisch abzusichern und administrativ zu konsolidieren. Die Errichtung einer Wasserburg mit deutlich ausgeprägter Wehr- und Wohnfunktion manifestierte die landesherrliche Präsenz vor Ort und fungierte zugleich als sichtbares Machtsymbol gegenüber konkurrierenden Adelsinteressen. Hauptburg Angern Palas, Ringmauer und Wehrgang um 1350
Die Besitzgeschichte der Burg Angern lässt sich ab dem 14. Jahrhundert anhand von Lehnbriefen, Pfandverträgen und erzbischöflichen Urkunden nachvollziehen. Die frühe Geschichte ist dabei durch häufige Besitzerwechsel und konkurrierende Lehnsverhältnisse geprägt, was auf die strategische Bedeutung der Anlage und den politischen Druck auf das Erzstift Magdeburg hinweist. Erstmals wird die Burg im Jahr 1343 als Besitz eines Gerlof von Brunhorcz erwähnt. Im Jahr 1363 erscheint Lüdecke von Grieben als Lehnsträger. Er war kein Angehöriger der hochadeligen Familie von Grieben, sondern ein Vasall, der deren Namen übernommen hatte – ein im Mittelalter verbreitetes Phänomen, um familiäre Zugehörigkeit oder Schutzverhältnisse zu demonstrieren. 1370 sind Lüdecke von Grieben und zwei Söhne des Ritters Jakob von Eichendorf gemeinsam mit Angern belehnt.
Dieser Rundgang durch die Burg Angern um das Jahr 1340 basiert auf einer sorgfältigen Rekonstruktion historischer Quellen, archäologischer Befunde und baugeschichtlicher Analysen. Alle Szenen, Räume und Details wurden unter Berücksichtigung realer Gegebenheiten der mittelalterlichen Anlage entwickelt – etwa der erhaltenen Tonnengewölbe, der typischen Bauweise von Palas, Bergfried und Wirtschaftsflügeln sowie Hinweise aus Inventaren und schriftlichen Überlieferungen. Ziel ist es, nicht nur die äußere Gestalt, sondern auch die Atmosphäre und Lebenswelt einer spätmittelalterlichen Burg erlebbar zu machen – so nah wie möglich an der historischen Realität, doch mit erzählerischer Tiefe. Die Bilder zeigen fotorealistische Rekonstruktionen der Burg Angern um 1350. Sie basieren auf archäologischen Befunden, historischen Quellen und vergleichbarer Bausubstanz – realitätsnah umgesetzt mit moderner KI-Technik.
Die Burg Angern als exemplarische hochmittelalterliche Wasserburg in Norddeutschland. Die Burg Angern zählt zu den wenigen in der norddeutschen Tiefebene erhaltenen Wasserburgen, deren bauliche Struktur, archäologische Substanz und archivalische Überlieferung gleichermaßen außergewöhnlich gut erhalten sind. Obwohl die Errichtung um 1340 chronologisch an der Schwelle zum Spätmittelalter liegt, entspricht die Anlage in ihrer Konzeption, Gliederung und Funktionalität eindeutig dem hochmittelalterlichen Burgentypus. Die Burg vereint in exemplarischer Weise militärische, ökonomische und administrative Funktionen innerhalb eines klar strukturierten und funktional differenzierten Inselburgsystems. Ihre topografische Disposition – bestehend aus zwei künstlich aufgeschütteten Inseln, vollständig umgeben von einem mehrfach gegliederten Grabensystem – dokumentiert eindrucksvoll die strategischen und ingenieurtechnischen Prinzipien des Burgenbaus im mittleren 14. Jahrhundert. Burganlage in Angern mit Vorburg, Hauptburg mit Wehrgängen (orange) und Brücken sowie der Turminsel
Die Vorburg der Burg Angern: Funktionsanalyse und historische Rekonstruktion unter der Annahme mittelalterlicher Vorgängermauern (ca. 1350). Die Vorburg der Burg Angern, wie sie auf einem barockzeitlichen Plan um 1760 dargestellt ist, weist eine markante rechteckige Struktur mit drei langgestreckten Wirtschaftsgebäuden und zwei freistehenden Bauten auf. Auf Grundlage architektonischer Analyse, funktionaler Einteilung sowie typologischer Vergleiche mit anderen mitteleuropäischen Burganlagen lässt sich begründet rekonstruieren, dass die barocken Gebäude auf der Struktur und dem Grundriss einer hochmittelalterlichen Vorburg basieren. Die folgenden Ausführungen widmen sich der Rekonstruktion dieser früheren Vorburg unter der Annahme eines Baubestandes aus der Zeit um 1350. Innenhof der Vorburg Angern mit Wirtschaftsgebäuden (KI-Rekonstruktion)
Die strategische Lage Angerns im Dreißigjährigen Krieg. Angern war zu Beginn des 17. Jahrhunderts Sitz eines ausgedehnten Lehngutes der Familie von der Schulenburg, gelegen an der Grenze zwischen dem Kurfürstentum Brandenburg und den geistlichen Territorien Halberstadt und Magdeburg. Die Burg war Teil eines befestigten Ensembles aus Hauptburg, Vorburg und Turminsel. Ihre Lage machte sie im Kontext konfessioneller Konflikte und durchziehender Heere zu einem militärisch sensiblen Ziel.
Dieses Essay unternimmt den Versuch, die Lebenswirklichkeit im Dorf Angern um das Jahr 1340 nachzuzeichnen – basierend auf überlieferten Urkunden, Inventaren, Dorfordnungen und vergleichenden Regionalanalysen. Es beleuchtet die sozialen Strukturen , das wirtschaftliche Leben , den Alltag der Bevölkerung , und stellt Angern in den Kontext vergleichbarer Dörfer mit ähnlicher Herrschafts- und Wirtschaftsform. Trotz der lückenhaften Quellenlage aus dem 14. Jahrhundert erlauben spätere Ordnungen und bauliche Spuren einen aufschlussreichen Rückblick auf eine Epoche, in der feudale Macht, religiöse Ordnung und agrarische Selbstversorgung das Leben der Menschen bestimmten. Alte Dorfstrasse von Angern im Mittelalter
Die Errichtung der Burg Angern um 1340 – Architektur, Handwerk und Kontext. Die Burg Angern entstand um das Jahr 1340 im Auftrag des Erzbischofs Otto von Magdeburg. Diese Befestigungsanlage war Teil einer territorialpolitischen Sicherungsstrategie des Erzstifts in der südlichen Altmark, nachdem 1336 ein Ausgleich mit dem Markgrafen von Brandenburg erreicht worden war. Die Anlage, gelegen an einer bedeutenden Handelsroute, zählt zu den Wasserburgen des Niederungstyps und zeigt exemplarisch, wie sich Wehrhaftigkeit, Verwaltung und Repräsentation im 14. Jahrhundert architektonisch verbanden.
Angern

Angern, Sachsen-Anhalt, Landkreis Börde. Heft 20, Berlin 2023 (ISBN: 978-3-910447-06-6).
Alexander Graf von der Schulenburg, Klaus-Henning von Krosigk, Sibylle Badstübner-Gröger.
Herausgeber: Deutsche Gesellschaft e.V.
Umfang: 36 Seiten, 59 Abbildungen.