Im Erdgeschoss des Palas der Burg Angern ist ein abgewinkelter, tonnengewölbter Verbindungsgang mit halbkreisförmigem Querschnitt und einer charakteristischen 180°‑Kehre erhalten, der zwei parallel angelegte Tonnengewölberäume auf dem gleichen Niveau verbindet. Der Zugang erfolgt über eine schmale Passage, die unmittelbar nach dem Eintreten eine sofortige Richtungsänderung ausführt. Die Gangführung bleibt dabei vollständig tonnengewölbt und verläuft in unmittelbarer Nähe zur westlichen Außenmauer des Palas. Die lichte Breite des Durchgangs beträgt etwa 1,50 m, was eine großzügige Nutzung – beispielsweise mit Karren oder Tragevorrichtungen – ermöglicht. Die bauarchäologische Zuordnung des Gangs – insbesondere seine Einbindung in das Mauergefüge und die verbleibende Wandstärke zwischen Innen- und Außenseite – ist noch nicht abschließend geklärt. Ob der Gang vollständig innerhalb der Außenmauer liegt oder nur teilweise davon umfasst wird, bleibt ein Gegenstand laufender Untersuchungen. Das Mauerwerk besteht aus regionaltypischem, unregelmäßig gelagertem Bruchstein mit kalkhaltigem Mörtel. Putzreste sind im unteren Bereich bisher nicht nachweisbar, was auf eine unbehandelte, funktionale Kelleroptik schließen lässt.
Erhaltene mittelalterliche massive Bruchsteinwand mit Eingang zum abgewinkelten Verbindungsgang (links)
Befund zur Lichtführung und Funktionszonierung im nördlichen Palasgewölbe der Burg Angern
Die gezielte Achsenlage der seitlich versetzten Fensteröffnungen in den beiden Gewölberäumen des Erdgeschosses – jeweils exakt in Flucht mit den Ein- bzw. Austritten des Umkehrgangs – legt eine bewusste bauzeitliche Planung hinsichtlich der Lichtführung nahe. Obwohl der Gang selbst fensterlos ist, wird durch diese architektonische Anordnung ein minimales Maß an natürlicher Belichtung in den unmittelbaren Zugangszonen ermöglicht. Diese indirekte Belichtung ermöglichte eine basale visuelle Orientierung beim Transport oder der Entnahme von Vorräten, ohne die klimatischen Anforderungen der Kellerzonen – wie konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit – zu beeinträchtigen.
In Verbindung mit dem an der Südwand des nördlichen Gewölberaums positionierten, in die Bausubstanz integrierten Wandpodest ergibt sich ein weiteres Indiz für eine funktionale Differenzierung innerhalb des Lagerbereichs. Die Ausrichtung dieses Podests entlang der gedachten Achse zwischen Fensteröffnung und Gangdurchlass, kombiniert mit seiner erhöhten Lage, spricht für eine gezielte Sichtbarmachung sowie klimatische Pufferung empfindlicher Lagergüter. Eine Nutzung für die separate Verwahrung temperaturempfindlicher oder wertvoller Substanzen wie Öl-, Lauge- oder Essigbehältnisse ist bauphysikalisch wie funktional plausibel.
In der Gesamtschau lässt sich daraus der Befund ableiten, dass der Umkehrgang nicht nur der internen Erschließung diente, sondern als raumklimatische und lichttechnische Schnittstelle innerhalb eines komplex organisierten Lagerbereichs fungierte. Das differenzierte Zusammenspiel von Belichtungsachsen, Gangführung und Podeststruktur belegt eine hochentwickelte Planungsstrategie zur funktionalen Optimierung der Kellerzone im Palas der Burg Angern um 1340.
Lage und Einbindung
Der Gang ist etwa 1,50 Meter breit und wahrscheinlich nicht vollständig in die westliche Außenmauer des Palas integriert. Vielmehr handelt es sich um eine halb eingestellte Konstruktion, bei der ein Teil des Gangs in den westlich angrenzenden Hofbereich hineinragt, während die Außenwand eine verbleibende Reststärke von etwa 70–80 cm besitzt. Diese Bauweise entspricht typischen Lösungen im hochmittelalterlichen Wirtschaftsbau, bei denen funktionale Erschließung und statische Anforderungen sorgfältig abgewogen wurden. Er verbindet zwei gewölbte Kellerabschnitte auf gleichem Bodenniveau: einen zentralen südlichen Hauptraum mit einem nördlich anschließenden Raum. Der Zugang erfolgt zunächst gerade in westlicher Richtung, bevor der Gang in einer 180°-Kehre zurück nach Osten in den nördlichen Kellerraum einmündet. Die Gangführung ist somit bewusst abgewinkelt und asymmetrisch zur Raumachse angelegt.
Bauzeitliche Einordnung
Die bauliche Einheitlichkeit von Gang und Gewölbestruktur sowie das verwendete Bruchsteinmauerwerk lassen eine Entstehung des Umkehrgangs in der Bauphase des Palas um das Jahr 1340 vermuten. Es sind keine Hinweise auf nachträgliche Einfügungen, Umnutzungen oder barocke Überformungen vorhanden. Die Konstruktion spricht vielmehr für eine durchdachte Planung, bei der der Umkehrgang als integraler Bestandteil des Erdgeschossgrundrisses konzipiert wurde.
Funktionale Bewertung
Der Umkehrgang diente der internen Verbindung zweier Kellerbereiche ohne Öffnung zum Innenhof. Durch seine gewinkelte Führung wurde ein kontrollierbarer Zugang geschaffen, der direkte Sichtachsen verhinderte und potenzielle klimatische Einflüsse – wie Luftzug oder Feuchtigkeitseintrag – minimierte. Die ungewöhnlich großzügige Breite erlaubt die Durchquerung mit Karren, Schlitten oder größeren Behältern und deutet auf eine Nutzung im Bereich der Vorratswirtschaft hin. Die Konstruktion zeigt keine repräsentativen Merkmale, was eine rein funktionale Ausrichtung nahelegt.
Bauhistorische Bedeutung
Der Umkehrgang stellt ein selten überliefertes Beispiel hochmittelalterlicher Raumerschließung in Burganlagen der Altmark dar. Seine bauliche Integration in die Palasstruktur, die sorgfältige Ausführung und der Erhaltungszustand machen ihn zu einem Schlüsselfund für das Verständnis funktionaler Binnenarchitektur im 14. Jahrhundert. Die Kombination aus Verteidigungsstrategie, wirtschaftlicher Logistik und statischer Optimierung zeigt ein hohes Maß an planvoller Bauorganisation.
Umkehrgang Eingang in nördliches Gewölbe
Erhaltungszustand
Der Umkehrgang ist in seiner ursprünglichen Struktur vollständig erhalten geblieben. Es existieren keine baulichen Veränderungen, die auf eine spätere Überformung schließen lassen. Zwar wurde der angrenzende Innenhof im 18. Jahrhundert teilweise verfüllt, doch zeigen archivalische Quellen, dass der Erhalt der darunterliegenden Gewölbe – und damit auch des Umkehrgangs – bei Umbauplanungen ausdrücklich berücksichtigt wurde (Rep. H Angern Nr. 412, Nr. 4, 1737). Die Substanz ist stabil; verputzte Flächen sind nicht vorhanden, was dem Nutzungszweck als Kellerbereich entspricht.
Quelle
Der Umkehrgang ist nicht nur bauphysikalisch erhalten, sondern auch durch Quellen des 17. und 18. Jahrhunderts indirekt belegt. Die Dorfchronik von 1650 nennt explizit die Existenz „der vier Keller“, was auf die Fortdauer der mittelalterlichen Raumstruktur hinweist. Zudem betont ein Schreiben aus dem Jahr 1737 die Notwendigkeit, bei der geplanten Absenkung des Hofniveaus die vorhandenen Gewölbe (inkl. Umkehrgang) zu erhalten.
- Gutsarchiv Angern, Rep. H Nr. 412, Nr. 4 (18.11.1737)